Neue Wege zur Verkehrswende

Klimaschutz: Wie Beschäftigte fast freiwillig auf den Dienstwagen verzichten

Wer einen Firmenwagen privat fährt, muss die Nutzung mit dem Finanzamt abrechnen. Bei dem Nachweis durch ein Fahrtenbuch sollte die Dokumentation lückenlos sein.

Wer einen Firmenwagen privat fährt, muss die Nutzung mit dem Finanzamt abrechnen. Bei dem Nachweis durch ein Fahrtenbuch sollte die Dokumentation lückenlos sein.

Frankfurt am Main. Es geht also doch: Beschäftigte können dazu gebracht werden, vom Dienstwagen auf klimafreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen. Den Beweis dafür hat ein Feldexperiment des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW erbracht, dessen Ergebnisse dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegen. Allerdings mussten die Probandinnen und Probanden dafür kommunikativ intensiv bearbeitet werden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

241 Beschäftigten eines großen Unternehmens – die nicht wussten, dass sie an einem Experiment teilnehmen – wurde ein Mobilitätsbudget zur Verfügung gestellt. Zugleich erhielten sie über einen Zeitraum von acht Wochen E-Mails von ihrem Arbeitgeber. Sie wurden über das Verhalten der Kolleginnen und Kollegen und über das Thema Verkehr und Klimaschutz informiert.

Das Ergebnis: „Wir wurden davon überrascht, wie bewusst die Teilnehmer:innen aufgrund der E-Mails über ihre Mobilitätsoptionen nachdachten. Sie entschieden sich aktiv dazu, auf Autofahrten zu verzichten, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren“, sagte Ulrich Wagner, Professor an der Uni Mannheim und ZEW-Experte für Klimaökonomik, dem RND.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Sozialer Vergleich und moralische Appelle

Viele Unternehmen wollen ihre Klimabilanz aufpolieren und erwägen die Einführung der Mobilitätsbudgets für ihre Angestellten als Alternative zum Dienstwagen. Die Beschäftigten erhalten monatlich eine Summe Geld, die sie flexibel für diverse Verkehrsmittel ausgeben können. Dazu zählen in der Regel aber auch Mietwagen, Carsharing oder die Nutzung von Taxis. Um den CO₂-Fußabdruck zu verringern, ist aber entscheidend, dass die Frauen und Männer die Pkw-Nutzung spürbar herunterfahren – was sich als schwierig erwiesen hat.

Johannes Gessner, Doktorand an der Uni Mannheim und Co-Autor der Studie, erläutert, dass sich dennoch was bewegen kann: „Das Auto hat unter den von uns untersuchten Verkehrsmitteln die höchsten CO₂-Emissionen. Umso bemerkenswerter ist es auch für die Politik, dass Kommunikationsmittel mit klaren Aufforderungen dafür sorgen können, dass Menschen das Auto seltener nutzen.“

Die Forschenden haben dafür mit zwei verschiedenen Stimuli gearbeitet. Einerseits wurden den Probanden E-Mails geschickt, die die eigenen Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel im Verhältnis zur Vergleichsgruppe auflisteten. Dieser „soziale Vergleich“ zielte darauf ab, den Teilnehmenden das Verhalten der Mehrheit vorzuhalten.

Für einen Teil der Gruppe gab es zusätzlich „moralische Appelle“, die Normen für akzeptables Verhalten definieren. Deshalb wurden Infos über Emissionseinsparungen durch Öffentliche im Vergleich zum Auto, ergänzt durch Appelle zur Nutzung der Ersteren sowie über die Notwendigkeit des Klimaschutzes verschickt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das Experiment spielt im Feld der Verhaltensökonomie. Dort hat das sogenannte Nudging gerade Hochkonjunktur. Das bedeutet: Menschen sollen nicht durch Vorschriften zu Verhaltensänderungen gebracht werden, sondern durch mehr oder weniger sanfte Anstupser (Nudges) freiwillig von schlechten Gewohnheiten ablassen. Ein klassisches Beispiel ist die reichhaltig bestückte Salatbar mitten in der Kantine anstelle eines Zwangs-Veggie-Days, um von Schnitzel/Pommes abzuhalten.

Lindner äußert sich zu 9-Euro-Ticket und Übergewinnsteuer
20.08.2022, Berlin: Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, spricht beim Tag der Offenen Tür der Bundesregierung unter dem Motto «Demokratie lädt ein» im Finanzministerium bei einem Gespräch mit Bürgern. Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Beim Tag der offenen Tür auf dem Gelände des Bundesfinanzministeriums beantwortet Lindner die Frage einer Bürgerin zum 9-Euro-Ticket.

Vom Auto zum Tretroller

Die Mannheimer Forschenden fanden heraus, dass die kombinierten Maßnahmen (soziale Vergleiche und moralische Appelle) die Ausgaben der Teilnehmenden für automobile Mobilität um 38 Prozent reduzierten. Zugleich wurden die Aufwendungen für Mietfahrräder und für Elektrotretroller um 44 Prozent gesteigert.

Diese Erkenntnis stehe im Gegensatz zu bisherigen Studien, „welche soziale Vergleiche in Isolation betrachten und keine Effekte feststellen konnten“, so das ZEW. Es kommt also auf die Kombination von beidem an – die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben allerdings nicht untersucht, wie alleine moralische Appelle wirken. Wobei sich die Gesamtausgaben nicht signifikant veränderten – Kosten lassen sich mit Mobiltätsbudgets plus Nudges offensichtlich nicht senken.

Noch eine Einschränkung: Die eine stärkere Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs konnten die Forschenden während des Untersuchungszeitraums nicht feststellen. Allerdings brach in diesem Zeitraum eine der Covid-19-Wellen aus, die die Resultate mutmaßlich verzerrt hat – Busse und Bahnen wurden in den Hochphasen der Pandemie gemieden. Womöglich würden die Klassiker des öffentlichen Personenverkehr aber intensiver genutzt, wenn man das Experiment jetzt wiederholt.

Mehr aus Wirtschaft

 
 
 
 
Anzeige
Anzeige