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Preisexplosion bei Döner, Parken, Eis: Wie ist das mit „nur“ 8,7 Prozent Inflation zu erklären?

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Döner zehn Euro, eine Kugel Eis 1,70 Euro. Nach dem Rekord-Inflationsjahr 2022 fragen sich viele: In welche Richtung gehen die Preise 2023? Dabei ist eine andere Frage viel wichtiger.

Köln – Wer seit dem 24. Februar 2022 keine Nachrichten mehr gelesen hat, kann auf den Preisschildern in Alnatura Bio-Supermärkten nachvollziehen, was seitdem wirtschaftlich passiert ist. Dazu sind allerdings etwas Fantasie und sehr gute Augen unabdingbar. In kleiner Schrift steht unter dem aktuellen Preis, wann das Produkt zuletzt teurer geworden ist. Um eine Preiserhöhung aus dem Jahr 2021 zu finden, muss man lange suchen. In der Regel sind die Preise 2022 angepasst worden – in dem Jahr, in dem alles teurer wurde. Bei 7,9 Prozent lag die Inflationsrate. Zum Vergleich: Im Durchschnitt betrug dieser Wert in den fünfzehn Jahren zuvor rund 1,5 Prozent.

Dass die Preise massiv gestiegen sind, merken Bürger nicht nur an der Supermarktkasse. Beispiele gefällig? In einem Frankfurter Imbiss kostet der Döner zehn Euro. Für eine Kugel Eis legt man in München durchschnittlich 1,73 Euro hin. Wer in der Stuttgarter Innenstadt sein Auto parkt, zahlt 4,60 Euro pro Stunde – 2011 kostete das noch 2,90 Euro. Wer in Köln fünf Stationen mit der U-Bahn fährt, löst einen Fahrschein für 3,20 Euro. Und wer an einer Autobahnraststätte auf Toilette geht („Sanifair“), kommt nur gegen einen Euro Gebühr durch das Drehkreuz.

Ökonom zu gestiegenen Preisen: „Die Inflationsrate ist individuell unterschiedlich“

In einem Imbiss wird ein Döner mit Fleisch gefüllt.
Seit Monaten kennt der Preis für Döner nur eine Richtung: nach oben. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Es sind Beispiel wie diese, die zeigen: Der Alltag ist deutlich teurer geworden. Dass das nicht nur eine gefühlte Wahrheit ist, unterstreichen auch die neusten Zahlen des Statistischen Bundesamts, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wurden. Demnach stiegen die Verbraucherpreise im Januar um durchschnittlich 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Um die offiziellen Zahlen gibt es Streit. Immer wieder ist von „Alltagsinflation“ oder der „wahren Inflation“ zu hören. Tenor: In Wahrheit sei alles noch teurer, als die Werte des Statistischen Bundesamts aussagen. Völliger Quatsch, erklärt Moritz Kuhn. Er ist Ökonom an der Universität Bonn. „Die Inflationsrate ist ein Durchschnittswert. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Inflationsrate individuell unterschiedlich ist“, sagt Kuhn. Wer es genau wissen will, kann auf der Seite des Statistischen Bundesamts nachrechnen. Mit dem „Preis-Kaleidoskop“ lässt sich nachvollziehen, wie stark die Statistiker einzelne Waren und Dienstleistungen gewichten.

Was ist die Inflation?

Die Inflation wird auch Preissteigerungsrate oder Teuerung genannt. „Der Wert ist letztlich die Antwort auf die Frage: Wie stark sind die Ausgaben gestiegen, die ein typischer deutscher Haushalt jeden Monat hat?“, erklärt Ökonom Moritz Kuhn. „Da gehört die Miete dazu, der Haarschnitt, die Einkäufe im Supermarkt und auch die neue Waschmaschine. Die Inflationsrate gibt an, um wie viel teurer dieser Warenkorb ein Jahr später ist. Dieser Wert ist die Inflation. Wenn dieser Korb gleich teuer ist, liegt die Inflationsrate bei null.“

Warum Preise verzerrt wahrgenommen werden

Dass Menschen die Inflation verzerrt wahrnehmen, hat laut Kuhn einen einfachen Grund. „Was der Döner oder die Autobahn-Toilette kostet, wissen wir, weil wir den Preis oft sehen. Bei vielen Produkten haben wir in der Regel keine Ahnung. Was kostet ein Trockner? Wie teuer ist ein Opernbesuch? Was kostet eine Pauschalreise?“ Kuhns Erklärung für die Diskussion um „Alltagsinflation“: „Für die Dinge, die wir täglich konsumieren, haben wir ein sehr sensibles Preisgefühl. Deswegen könnte man fälschlicherweise denken, dass der Anstieg dieser Preise auch der Inflation entspricht.“

Dass Preise steigen, ist nichts Neues. Es ist sogar politisch gewollt. Rund zwei Prozent soll die Inflation betragen. So lautet das erklärte Ziel der EZB, um ein stabiles Wirtschaftswachstum zu erreichen. Nun könnte man meinen: Es gab ein externes Ereignis, den Beginn des Ukraine-Kriegs, der kurzfristig alles verändert hat; aber irgendwann müssen sich die Preise doch wieder normalisieren? Nein, sagt Kuhn. Um nur ein kurzfristiger externer Schock zu sein, habe der Krieg die Weltwirtschaft zu grundlegend umgekrempelt. Und zwar beide Seiten: die Produzenten und die Konsumenten.

Außerdem werde vielfach unterschätzt, sagt Kuhn, wie komplex es ist, Preise zu setzen. Beispiel Sanifair-Toilette auf Autobahnen. Über Jahre lag die Gebühr bei 70 Cent. Seit November 2022 kostet es einen Euro – eine Steigerung um rund 42 Prozent. Das klingt viel. Allerdings wurde der Preis auch seit 2011 nicht erhöht. „Bei solchen Beträgen können Sie nicht jedes Jahr um einen Cent erhöhen“, sagt Kuhn.

Hoffnung für 2023: Steigende Löhne

Insgesamt kann der Experte für 2023 keine Hoffnung machen: Das Preisniveau bleibt hoch. Ein Zurück zum alten Status Quo, in die Zeit vor dem Ukraine-Krieg, werde es nicht geben. „Dafür müsste es eine Deflation geben – also fallende Preise“, sagt Kuhn. Wirtschaftsminister Robert Habeck rechnet mit einer moderaten Absenkung von 7,9 Prozent auf 6 Prozent – was nichts anderes bedeutet als: Die Preise steigen nicht mehr so stark weiter.

Und so lässt sich nur noch an einer Schraube drehen: den Löhnen. „Wie die Gehälter angepasst werden, ist die ganz entscheidende Frage.“ Bisher halten die Erhöhungen nicht mit der Inflation stand. Real sind die Löhne nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts um 4,1 Prozent gefallen. „Wir sind ärmer geworden“, sagt Kuhn.

Das ist für die meisten Menschen viel mehr als eine gefühlte Wahrheit.

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